Renommierter Experte erklärt neuen Rechtspopulismus
Professor Benno Hafeneger beleuchtet während einer Schulveranstaltung der MLS mit Lehrkräften und Schülern den gesellschaftspolitischen Wandel und erläutert die Erfolge der Rechtspopulisten.
In der gut gefüllten Aula der Martin-Luther-Schule versammelten sich Lehrerinnen und Lehrer mit zahlreichen Schüler/innen, um die Ergebnisse der neuesten Studien aus Hafenegers Forschungsteam (die OP stellte die Studie bereits vor) und anderer politikwissenschaftlicher Forschungen zu erfahren.
Zunächst ging Hafeneger auf die Veränderungen in unserer Zeit ein: „Die soziale Polarisierung in Arm und Reich, das wachsendes Ausmaß von Rechtspopulismus in Europa und die digitale Revolution kennzeichnen schlaglichtartig den Konsens der Forschung.“ Bislang habe es in der BRD keine rechte politische Partei in den Bundestag oder auf Dauer in die Landtage geschafft. Doch sei mit der AfD erstmals eine Partei in 14 Landtagen und im Bundestag vertreten, die rechts der Unionsparteien etabliert sei. In Deutschland habe es eine Art „nachholende Entwicklung“ bei rechten Parteien gegeben. „In Europa gibt es schon länger rechte Parteien, nun auch bei uns“, so Hafeneger. Die AfD mobilisiere von den anderen Parteien Enttäuschte und Nichtwähler. Mittlerweile könne sie, neben den zahlreichen Abgeordneten, auch „in der zweiten Reihe“ gut bezahlte Jobs für einige Hundert Mitarbeiter bereitstellen, was zu einer Professionalisierung und Etablierung der Partei führe. Überhaupt falle auf, so Hafeneger auf eine Nachfrage von M. Schmidt, dass die AfD durchaus von vielen als Karrieresprungbrett genutzt werde. Vor allem viele Ältere, die zuvor in der CDU aktiv waren, wechselten auch in die AfD, weil dort lukrative Posten winken würden. Auch gebe es im Bereich der Selbständigen viele in der AfD, die nach dem Scheitern oder der Insolvenz des eigenen Betriebs als Abgeordnete der Rechtspopulisten wieder gut bezahlte Jobs, auf Kosten der Steuerzahler, erhielten. Dies widerspreche durchaus dem Bild, das die AfD gerne nach außen von sich zeige. Auch nutze die AfD die sozialen Medien für ihre Zwecke wie keine andere Partei. Zudem plane sie eine Stiftung, die durch Steuergelder finanziert werde. Sie schaffe so sich stabile personelle und finanzielle Strukturen. Damit werde sie langfristig Teil unserer Parlamente und der politischen Arbeit auf kommunaler, Landes- und Bundesebene.
Sie spiele bewusst mit Provokationen und stelle sich gerne als ausgegrenztes Opfer der als „Altparteien“ bezeichneten Vertreter des Systems dar.
Der Schüler Jonas F. wollte in der anschließenden, besonnenen Diskussion vom Professor wissen, „wie man auf die Provokationen reagieren kann“. Hafeneger nannte drei Anforderungen an die Demokraten: „Erstens müssen wir besser sein in der Argumentation, also deren Logik der Ausgrenzung von Gruppen entschlüsseln. Zweitens müssen wir hart und klar sein, wenn völkisch oder antisemitisch provoziert wird und schließlich müssen wir souveräner werden und nicht über jedes hingehaltene Stöckchen springen.“
A. Dietrich wollte dann erfahren, wo man das denn lernen könne im Unterricht. „Eins höre ich in jeder Diskussion“, sagte der sehr gefragte Professor, „wir brauchen mehr politische Bildung! Diese spielt heute eine zu geringe Rolle.“ Er sei ständig zu Vorträgen und Diskussionen unterwegs und diese Forderung ziehe sich wie ein roter Faden durch alle Veranstaltungen, egal bei wem! Politische Bildung beschränke sich aber nicht auf das Fach Politik und Wirtschaft, sondern gehe alle an.
Wir müssten „dem Narrativ, der Erzählung der Rechten“ eine spannende und positive Erzählung von einer freien, demokratischen Gesellschaft entgegensetzen, „um die Jungen besser zu erreichen“, so der Forscher.
Im zweiten Teil der Veranstaltung mit Hafeneger setzten sich 26 Lehrkräfte des gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereichs damit auseinander, was jetzt in der MLS zu tun sei. Zunächst gab es zahlreiche vertiefende Fragen, die Hafeneger geduldig beantwortete. „Ganz offensichtlich gibt es im Kollegium einen hohen Informationsbedarf und den Wunsch, die neuen Rechten fundiert deuten und beurteilen zu können“, schätzte H. Palz von der Schulleitung die Diskussion ein.
Anschließend sammelten die Lehrkräfte zusammen mit dem Referenten praktische Ideen und dies auf verschiedenen Ebenen: Unterricht, Schulkultur und Fortbildung. Bei allem sei „wichtig, dass die Schüler/innen erfahren, dass sie etwas bewirken können“, so T. Koerner. Unsere Schule sei vielfältiger geworden durch die Seiteneinsteiger und mehr Kinder mit ausländischem Pass. Dies könne man auch als Chance, als gelebte Vielfalt positiv darstellen und nutzen. Hierfür braucht die MLS ein eigenes Integrationskonzept, waren sich die Lehrkräfte einig. A. Müller berichtete von aktionsbezogenen Sozialstudien, die ein Lehrer aus NRW machte. Er lässt seine Schüler erleben, was es heißt, ausgegrenzt inmitten der Gesellschaft zu sein. „Den bereits in den Klassen verankerten Klassenrat müssen wir zum Demokratielernen aktiv leben und nicht bloß, wenn etwas anliegt“, so H. Palz. M. Löffert plädierte für Fortbildungen, in denen „wir lernen, wie die Dresscodes, die Sprache, die Musik usw. der rechten Szene und Kultur“ sind. Dazu könne man das Beratungsnetzwerk Hessen nutzen, welches laut Hafeneger täglich Anfragen bekomme, wie man als Jugendfeuerwehr, Sportverein, Schule u.ä. mit rechten Verhaltenweisen und Äußerungen umgehen solle.
Nach einigen Stunden Vortrag, Nachfragen und Diskussion wurde deutlich, wie bereichernd die Expertise von Professor Dr. Hafeneger für die Anwesenden war. Der Dreischritt gelang: Am Anfang steht die Gesellschaftsanalyse. Dann kann man den heutigen deutschen Rechtspopulismus als Phänomen angemessen einordnen. Schließlich wird die pädagogische Arbeit mit den Schüler/innen geplant. „Eine gelungene Veranstaltung! Das sollte es öfter geben“, resümierte I. Vestweber.
H. Palz